Uppercut

 

Leseprobe 2 - eine Actionszene aus dem Mittelteil

 


(...) »Ruft die anderen«, brüllte hinter der Biegung jemand, »wir nehmen ihn in die Zange!«

Falls in Roberts Rücken weitere Männer auftauchten, wäre er geliefert. Er musste aus der Gefahrenzone heraus, und zwar sofort. Die Zeit für besonnenes Handeln war vorbei, entschlossene Taten waren gefragt.

Du bist dran, dachte er, übernimm das Steuer.

Er öffnete die Schleusen, ließ die Dunkelheit seinen Verstand fluten. Sie strömte hinein, füllte ihn aus wie die Faust eines Boxers einen abgewetzten Handschuh. Sein fiebriger Blick wurde geklärt, die zahlreichen Wehwehchen verblassten.

Er kam auf die Beine, zog auch die zweite Waffe und entsicherte sie. Mit beiden Pistolen in den Händen wartete er, bis der Staub sich etwas gelegt hatte. Als hinter ihm Rufe laut wurden, warf er sich nach vorne. Er hechtete in die Biegung hinein und riss die Arme hoch, in Richtung der Schützen. Sie waren inzwischen zu viert, die Hintertür stand offen. Als sie ihn sahen, nahmen sie ihn sofort ins Visier, blitzschnell und nahezu mechanisch. Ihre Mienen wirkten ungerührt; es mussten Männer sein, die schon vieles gesehen und getan hatten. Das waren nicht die üblichen Schläger, keine unerfahrenen Bodybuilder und Möchtegern-Gangster mit Ambitionen. Der Preuße hatte Profis angeheuert.

Robert drückte ab. Die Pistolen bockten in seinen Händen, nahezu ungezielt bohrten sich die Kugeln durch den Gang. Doch sie hatten es nicht weit und es gab mehrere Ziele. Robert schaffte es, jede Waffe dreimal abzufeuern, ehe er auf dem Boden aufschlug. Er ließ zu, dass ihm die leergeschossene Pistole von dem Aufprall aus der Hand geschlagen wurde, umfasste die zweite Waffe beidhändig und zielte.

Zwei der Angreifer waren getroffen, einer ins Knie, der andere in den Hals. Nummer zwei brüllte und presste verzweifelt eine Hand auf die zerschossene Arterie. Blut ergoss sich auf seine Kollegen, während diese versuchten, ihre Waffen in Stellung zu bringen. Robert jagte Nummer eins eine Kugel ins andere Bein, während sich neben ihm die ersten Projektile ins Parkett fraßen. Der Kerl kreischte und fiel, brachte die beiden aktiven Schützen aus dem Gleichgewicht.

Robert schoss erneut. Der Kopf eines dritten Mannes wurde nach hinten gerissen, dunkelroter Sprühregen stob durch die Tür in die Nacht. Sein Kollege feuerte zurück. Holzsplitter tanzten durch die Luft, stechende Schießpulverdämpfe breiteten sich aus. Etwas biss in Roberts rechte Schulter.

Streifschuss, dachte er und wälzte sich herum. Die nächste Kugel schlug dort ein, wo er eben noch gelegen hatte.

Nach einer vollen Umdrehung gab Robert einen weiteren Schuss ab. Er hatte nicht genau zielen können, außerdem war sein Gleichgewichtssinn durch die Rotation durcheinander. Doch die Dunkelheit führte seine Hände. Er erwischte den vierten Schützen am Unterleib. Sofort ließ dieser die Waffe fallen, krümmte sich zusammen und presste seine Hände auf die Wunde. Robert schoss ihm ins Gesicht. Er sank in sich zusammen und begrub den Mann mit den zerschossenen Beinen unter sich. Das Rotlicht verwandelte die Spritzer und Rinnsale aus Blut in fremdartiges Getier, das sich nachtschwarz über Boden und Wände tastete.

Robert ging auf den schreienden Schützen zu und richtete den Lauf der Pistole auf seine Stirn. Die Dunkelheit war noch nicht satt, sie gierte nach Vergeltung. Das tat sie schon sein ganzes Leben lang, und nichts hatte ihren Hunger bislang stillen können. Trotzdem wuchs das Verlangen immer weiter, es wucherte wie ein Tumor, verdrängte die Menschlichkeit und ersetzte sie durch Hass. Hass, der das Gehirn des Verletzten auf der Wand sehen wollte.

Diesmal war es Lilian, die in Roberts Kopf auftauchte.

Das bist nicht du! Kämpf dagegen an!

Robert wusste, dass mit jeder Person, die er tötete, weniger von dem übrigblieb, was ihn ausmachte. Einen Wehrlosen umzubringen würde den Effekt potenzieren.

Sein Waffenarm begann zu zittern. In Robert rangen zwei Mächte miteinander, und die Kräfteverhältnisse waren ausgeglichen. Unendlich langsam senkte sich der Lauf der Pistole.

Weitere Schüsse krachten, sie kamen aus dem Gang und schlugen hinter Robert in die Wand. Ehe er die Dunkelheit in ihre Schranken verweisen konnte, war er aufgesprungen und rannte die Treppe hoch.

Du hast heute bereits vier Männer getötet. Die Stimme war leise, sie kam aus einem abgelegenen Winkel seines Verstands. Robert hörte nicht auf sie. Er musste überleben, und dazu war es unumgänglich, die Bedrohungen auszuschalten. Tiefergehende Gedanken kamen nicht an der wabernden Wand aus Finsternis vorbei, die sein Bewusstsein abkapselte.

Er hatte den zweiten Stock fast erreicht, als von oben etwas die Stufen herabpolterte. Es blieb auf dem Absatz liegen und rotierte noch zweimal um die eigene Achse. Ein metallisches Klicken war zu hören, ehe aus der Kapsel fettiger, beißender Qualm aufstieg. Über das Zischen hinweg konnte Robert Schritte ausmachen. Jemand kam nach unten und nutzte den Rauch als Deckung.

Er sah zurück. Zwei Männer tauchten in der Kehre auf und richteten ihre Waffen auf ihn.

Scheiße.

Keine Zeit, um nachzudenken. Robert hielt die Luft an und stürmte in die Wolke hinein. Schüsse krachten, Kugeln pfiffen an ihm vorbei, eine streifte seine Jacke. Er tastete nach dem Geländer, zog sich um den Treppenabsatz herum, riss mit der freien Rechten die Pistole nach vorne und feuerte in den blickdichten Rauch hinein. Seine Augen tränten, in seinen Lungen begann es zu brennen. Dreimal sprang die Pistole auf und ab, ehe es nur noch trocken klickte. Robert rannte weiter, nahm zwei Stufen auf einmal, warf sich förmlich nach oben. Bevor er den Wirkungsbereich der Rauchgranate verlassen konnte, prallte etwas gegen ihn. Es war schwer, drückte ihn nieder, schlang behaarte Arme um seine Körpermitte. Robert wurde auf die Stufen gepresst. Seine Lungen schrien nach Luft, doch er durfte jetzt nicht atmen. Er holte mit den Ellbogen aus, bohrte sie dem Angreifer in die Seiten, wand sich, warf ihn ab. Jetzt erst bemerkte er das Blut. Der Körper troff förmlich, war klebrig davon. Und er rührte sich nicht.

Er hätte die Leiche nur zu gern nach einer Waffe abgetastet, aber unter ihm waren die anderen Männer.

»Schießt in den Rauch«, hörte er einen rufen. »Vielleicht erwischen wir ihn!«

Schon peitschten die ersten Kugeln die Wand jenseits des Treppenabsatzes. Robert rappelte sich auf, ließ den toten Körper als Hindernis liegen und machte, dass er aus der Qualmwolke herauskam. Seine Atemmuskulatur zuckte und krampfte, es war nur eine Frage von Augenblicken, ehe der Reflex über den Willen siegte. Und war das stechende Gas erst in seinen Lungen, würde es ihn kampfunfähig machen. Er kniff die Augen zusammen, sie tränten wie verrückt. Sah nicht, dass er das Ende der Stufen erreichte, schlug hin, als er plötzlich ins Leere trat. Der letzte Rest Luft verließ in einem Prusten seinen Körper. Er konnte nicht verhindern, dass er gierig inhalierte. Ätzende Dämpfe brannten in seinen Atemwegen, sofort begann er zu husten.

Aber der Husten ließ sich bezähmen. Als Robert die Tränen wegblinzelte, erkannte er, dass der dritte Stock sich nur teilweise mit Rauch gefüllt hatte. Er robbte nach vorne, weg von den Ausläufern, die wie Geisterhände über den Absatz strömten und sich um ihn herum ergossen.

Er war noch am Leben, was bedeutete, dass sich kein Angreifer mehr zwischen ihm und dem Preußen befand. Falls dem so wäre, hätte der ihn innerhalb der letzten Sekunden nämlich leicht ausschalten können.

Robert kam auf die Beine und stellte fest, dass die Atemluft weiter oben erträglicher war. Er konnte es noch ein paar Sekunden neben der Treppe aushalten. Mit dem Rücken zur Wand postierte er sich im Korridor. Wenn die Verfolger nach oben kamen, würden sie halb blind und entsprechend unkoordiniert sein. Das war seine Chance. Hatten sie sich erst zurechtgefunden, war er erledigt. Man kam nicht mit Fäusten zu einer Schießerei.

»Verdammt, was ist das für eine Scheiße?«

»Dieser abartige Qualm! Ich kann nichts sehen.« Husten. »Kacke, es brennt!«

»Was zum … hier liegt einer!«

»Ist er es?«

»Scheiße, woher soll ich das wissen?« Husten. »Kann nichts sehen bei dem verfluchten Rauch.« Weiteres Husten. »Karl, es ist Karl! Den beschissenen Nietengürtel würd ich überall wiedererkennen.«

»Fuck! Also weiter, der Kerl lebt noch.«

»Ich zeig’s dir, du Wichser!«

Eine Pistole bellte, vier-, fünfmal.

Verschwendet ruhig eure Munition, dachte Robert.

»Hör auf zu schießen! Du …« Husten. »Du weißt doch gar nicht, was da oben los ist.«

»Dieser Hurensohn ist los. Und jetzt kauf ich ihn mir.«

Schritte stapften die Treppe hinauf. Robert sah, wie der Lauf einer Waffe aus der Rauchwolke geschoben wurde. Der Kerl hielt sie vor sich, als sei sie eine geweihte Hostie.

Blitzschnell sprang Robert zu ihm hinüber, griff sich das Handgelenk und bog den Unterarm nach oben, sodass die Pistole zurück in den Qualm tauchte.

»Aaah, du verd…«

Eine kurze Anspannung der Unterarmmuskeln, dann ging die Waffe los. Der Angreifer verstummte, ein Geräusch erklang, als würde man einen Wasserballon auf den Boden schleudern.

»Murat? Murat!«

Das war verdammt nahe, der Sprecher konnte nur drei oder vier Stufen tiefer stehen. Plötzlich schoss er. Murats lebloser Körper zuckte, als die Projektile in ihn einschlugen. Eines trat an seiner Schulter aus und blieb in Roberts Oberarm stecken.

Robert brüllte und schleuderte die Leiche von sich. Als sie mit schlaffen Gliedern in der brodelnden Rauchmasse verschwand, sah dies auf bizarre Art anmutig aus. Einen Wimpernschlag später schrie der zweite Schütze auf. Es polterte mehrmals, die Geräusche entfernten sich. Dann ein fürchterliches Knacken, das den Schrei des Angreifers jäh abschnitt. (...)